Halbjahresbilanz 2016: Wiesenhof treibt Beschwerdezahlen in die Höhe

Halbjahresbilanz 2016: Wiesenhof treibt Beschwerdezahlen in die Höhe

BERLIN, 15. August 2016 (dwr) - 1.545 Beschwerden gingen in den ersten sechs Monaten beim Deutschen Werberat in Berlin ein. Davon entfielen allein rund 1.000 Proteste auf das Online-Werbevideo von Wiesenhof, das der Werberat beanstandet hatte. Insgesamt prüfte die Selbstkontrolleinrichtung 365 Werbemaßnahmen und rügte 15 Unternehmen öffentlich, so die wichtigsten Kennzahlen der Halbjahresbilanz 2016.

142 Fälle fielen nicht in die Zuständigkeit des Gremiums, weil sich die Beschwerden beispielsweise gegen mögliche Rechtsverstöße richteten oder weil es sich nicht um Wirtschaftswerbung handelte. Auffällig waren in diesem Zusammenhang die zahlreichen Beschwerden gegen die aktuelle Aufklärungskampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA zum Thema „Liebesleben“.

Geschlechterdiskriminierende Werbung bleibt im Fokus

Während es im ersten Quartal 2016 nach den massiven Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht keine Zunahme im Bereich der ge­schlechterdiskriminierenden Werbung gab, änderte sich dies im 2. Quartal deutlich. Wohl mit beeinflusst von den Debatten um ein von der SPD gefordertes gesetzliches Verbot sexistischer Werbung und breiter Berichterstattung über die Arbeit des Werberats in diesem Zusammenhang stieg die Zahl der Fälle auf 147 und nahm damit um 39 Prozent im Vergleich zum 1. Halbjahr 2015 zu.

Von den 147 Fällen beanstandete der Werberat 48 Werbemaßnahmen bzw. 33 Prozent (1. Halbjahr 2015: 39 Prozent/41 Fälle). Von den 48 be­anstandeten Motiven wurden 37 geändert oder gestoppt und 11 öffentlich gerügt. Als unberechtigt stufte der Werberat die Kritik in 99 Fällen ein. Zugenommen haben demnach vor allem unbegründete Beschwerden: So muss nicht jedes Motiv mit einer Frau in verführerischer bis erotischer Pose gleich sexistisch sein.

Werbekritik zu weiteren Themen

Weitere Werbekritik erreichte den Werberat zur Diskriminierung von Personengruppen (19 Fälle), Ethik und Moral (16), der Nachahmung ge­fährlichen Verhaltens (10) sowie zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen (9). Neben den genannten Rügen zur Ge­schlechterdiskriminierung gab es vier weitere zu den Themen Gewalt­verherrlichung, Altersdiskriminierung, Ethik und Moral sowie der Diskriminierung von Flüchtlingen.

(Beispiele aus der Spruchpraxis des Werberats zu verschiedenen Inhal­ten der Werbekritik, s. PM-Seite 4.)

Julia Busse, Geschäftsführerin des Deutschen Werberats, kommentiert die Daten der Halbjahresbilanz: „Der Werberat hat in den ersten sechs Monaten des Jahres 15 Öffentliche Rügen ausgesprochen und damit deutlich mehr als in 2015 mit 7 zu diesem Zeitpunkt. Bei über 3 Millionen werbenden Unternehmen ist die Zahl der Rügen dennoch äußerst gering. Für die übergroße Mehrheit der Unternehmen sind die Verhaltensregeln des Werberats und seine Spruchpraxis die zentrale Richtschnur. Die Rügen wiederum bleiben eine Ausnahme und gehen an die zunächst Uneinsichtigen, die sich mit ihrer Werbung außerhalb der Branchenethik bewegen.“

Fallbeispiele aus dem 1. Halbjahr 2016

  • Eine Lebensmittel-Einzelhandelskette warb zu Beginn des Jahres 2016 im Stil der 50er Jahre. Das entsprechende Frauenbild aus der Zeit, spiegelte sich in Slogans wie „Lieblich wie der Wein sollte auch die Gattin sein“ und führte zu Beschwerden beim Werberat mit der Kritik, die Werbung sei frauendiskriminierend. Der Werberat lehnte die Be­schwerden ab, verwies auf den 50er Jahre-Zusammenhang und da­rauf, dass klischeehaftes, offensichtlich übertriebenes Abbilden von veralteten Rollbildern helfen kann, auch aktuell bestehende Stereo­type
  • aufzubrechen.
     
  • Auch verschiedene Beschwerden zu weiblichen Models in Unterwäsche, die auf Plakaten oder in Prospekten geschaltet waren, wies der Wer­berat zurück.
     
  • Die kokett abgebildete Stewardess des Web-Check-In-Portals einer Fluglinie, die Tipps für den Check-In lieferte, befand der Werberat ebenfalls nicht als sexistisch.
     
  • Anders der Fall einer Außenwerbung: Ein großes Banner, angebracht am Firmensitz eines Unternehmens für technische Produkte, zeigte das Gesäß einer Frau im Bikini mit dem Slogan „Werden auch Sie unser Fan“. Nach Kontaktaufnahme des Werberats mit dem Unternehmen entschuldigte sich dieses und sagte zu, das Banner zeitnah abzunehmen und zu ersetzen.
     
  • Auch in einem weiteren Fall änderte ein Dienstleister seine Fahr­zeugwerbung, die ein nacktes Frauengesäß im String zeigte: Nachdem der Werberat das Unternehmen kontaktiert hatte, überklebte es das Motiv.
     
  • Die Beschwerde zur Plakatwerbung mit dem Slogan „Niemand muss Döner essen“ wiederum lehnte der Werberat ab und sah keinen fremdenfeindlichen Kontext vorliegen. Der abgebildete Teller mit Schnitzel, Pommes Frites und Salat und den verschiedenen Werbetexten „Niemand muss Sushi/Döner/Pizza etc. essen“ würdige andere Esskulturen nicht herab, sondern offeriere in einem stark umkämpften Marktsegment eine Essens-Alternative.

Drei aktuelle Rügen:

  • Die HERRMANN Fenster-Türen-Bodenbeläge GmbH aus dem fränki­schen Baiersdorf rügte der Werberat wegen der Diskriminierung von Personengruppen. Der verwendete Werbeslogan „Wir sanieren Ihre Alte!“ auf den Unternehmensfahrzeugen diskriminiert nach Ansicht des Gremiums Menschen im hohen Alter und würdige diese in beson­derer Art und Weise herab. Verstärkt würde diese Aussage durch die Abbildung der jungen unbekleideten Frau als Gegenüberstellung zum Slogan. Auch der Zusatzslogan „Egal ob Haus oder Wohnung…“ än­dere daran nichts, im Gegenteil: Dadurch werde die Frau mit einem Gebäude gleichgesetzt und zu einem Objekt degradiert. Das Motiv verstoße gegen Ziffern 1 und 4 der Verhaltensregeln des Deutschen Werberats gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen.
     
  • Ebenfalls eine Rüge wegen Sexismus erging an die Ramm Handelsge­sellschaft mbH im hessischen Petersberg (Verstoß gegen die Verhal­tensregeln des Deutschen Werberats gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen, Ziffer 5). Die Anzeigenwerbung des Unternehmens reduziert Frauen durch die Abbildung eines lasziv po­sierenden weiblichen Models mit freizügigem Dekolleté auf ihr körper­liches Erscheinungsbild. Der doppeldeutige, blickfangartig herausge­stellte Slogan „Gut gebaut“ auf dem Körper der Frau platziert, lenke den Fokus des Betrachters zusätzlich auf ihre Körperformen, ohne dass ein sachlicher Bezug zu den beworbenen Baugeräten/-maschinen besteht. Der in dem Werbespruch ebenfalls enthaltene Hinweis auf den Mietpark hat im Verhältnis zu dem vordergründig abgebildeten Model aus Betrachtersicht nur untergeordnete Bedeutung und sei daher nicht ausreichend, um einen unmittelbaren Produktbezug herzustellen.
     
  • Als sexistisch hat der Werberat auch die Fahrzeugwerbung der Lohse GmbH aus Nürnberg öffentlich gerügt. Den Slogan „Balkonsanierung“ in Kombination mit der Abbildung eines tiefausgeschnittenen Frauen­dekolletés stufte das Gremium als herabwürdigend ein: Die Frau werde mit der beworbenen Dienstleistung gleichgesetzt und damit zum Objekt degradiert: eindeutiger Verstoß gegen die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen, Ziffern 4 und 5.

Hinweis:

Die Angaben hinsichtlich der Gestaltung der jeweiligen Werbemaßnahme sowie des verantwortlichen Unternehmens beziehen sich auf den für das Beschwerdeverfahren maßgeblichen Zeitpunkt. Die aktuelle Gestaltung der Werbemaß­nahme und das heute hierfür verantwortlich zeichnende Unternehmen können daher von den damaligen Gegebenheiten abweichen.

Über den Deutschen Werberat:

Die Werbewirtschaft ist sich ihrer Verantwortung für ein angemessenes Werbeverhalten sehr bewusst. Aus diesem Grund hat die Branche be­reits 1972 einen weiteren Filter für ihre Marktkommunikation zusätzlich zu den zahlreichen gesetzlichen Vorschriften geschaffen – den Deut­schen Werberat. Träger der Selbstkontrolleinrichtung sind die gegenwär­tig 42 im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW zusam­mengeschlossenen Organisationen der werbenden Wirtschaft, des Han­dels, der Medien, der Agenturen, der Forschung sowie der Werbeberufe. Damit wird der Deutsche Werberat von allen relevanten Wirtschafts­zweigen der Werbung in Deutschland getragen.